Philipp
, 73

Pensionierter Journalist und Autor, Zürich

In den wilden Sechzigerjahren war ich ein ziemlich ängstlicher junger Mann. Natürlich nahm ich wahr, dass um mich herum Haschisch und LSD konsumiert wurden, aber ich hatte damals viel zu viel Respekt vor diesen Substanzen und war zu sehr mit anderen Themen beschäftigt.

Mein Interesse an psychedelischen Substanzen entdeckte ich erst mit 51. Ich war seit einigen Jahren in einer Aufbruchstimmung, suchte nach Grenzerfahrungen und wollte wissen, wer ich wirklich bin. Ich begann viele verrückte Dinge zu tun: Ich ging Fallschirmspringen, lief über glühende Kohlen, besuchte Tantrakurse und eines Tages stiess ich auf einen Artikel über Zauberpilze.

Bis zu diesem Tag hatte ich nie über andere psychoaktive Substanzen als Alkohol nachgedacht. Jetzt aber machte ich mich auf die Suche nach einer psychedelischen Erfahrung. Das war nicht so einfach. 2001 waren wir noch weit weg von der psychedelischen Renaissance. Es dauerte anderthalb Jahre bis ich auf ein Paar stiess, das schamanistisch geleitete Zeremonien mit Psychedelika anbot. Beide hatten ein profundes Erfahrungswissen mit diesen Substanzen.

An den vierteljährlich stattfindenden Zeremonien wurde zu Beginn jeweils geräuchert und getrommelt. Dann riefen wir die vier Himmelsrichtungen, die guten Geister und unsere Ahnen um ihre Unterstützung an. Meine erste Pilzreise war überwältigend. Ich fand mich in einem Märchenland wieder, wie Alice im Wunderland. Meine Mitreisenden hatten sich in wunderschöne Prinzen und Prinzessinnen verwandelt. Alle Farben der Gegenstände im Raum traten hervor, winkten und riefen mich zu sich. Man sagte mir später, dass ich wie ein staunendes Kind fünf Stunden lang mit offenem Mund unbeweglich dagesessen hätte.

Es liegt auf der Hand, dass eine derart magische Erfahrung nach Wiederholung ruft. In den folgenden Jahren probierte ich viele Substanzen aus: LSD, Meskalin, Pilze, MDMA, 2-CB und Methylen. Manchmal auch Kombinationen davon.

Von diesen transpersonalen, mystischen Erfahrungen konnte ich damals nur wenig in den Alltag integrieren. Umgekehrt beschäftigten mich während meiner Reisen auch keine persönlichen Themen. Dafür war ich viel zu sehr mit den fantastischen Visionen beschäftigt: Auf LSD war ich mit Göttern unterwegs und kommunizierte mit Ausserirdischen. Mit Pilzen begegnete ich vielen kleinen Kobolden – die sind manchmal lustig, manchmal piksen sie dich aber auch ziemlich unangenehm. Bei Ayahuasca bekam ich es eindeutig mit einer intelligenten Entität zu tun. Ich fand mich einem allwissenden Wesen gegenüber. Es hatte eine mächtige Energie – und es nahm Kontakt mit mir auf. Das waren keine Gespräche, sondern eher Bilder und Eindrücke, die Erkenntnisse vermittelten. Einem solchen Ereignis kann man nur mit grosser Ehrfurcht und Demut begegnen.

Als dann eines Tages auf einem Trip doch ein schwieriges persönliches Thema aufkam, war ich völlig überrumpelt und wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Ich empfand es als tiefe Kränkung, dass ich, der durch alle psychedelischen Welten gereist war, so etwas wie «persönliche Probleme» haben sollte. Also verliess ich die Gruppe.

Im Rückblick glaube ich, dass mich das Auftauchen meiner Schattenseiten davor bewahrt hat ein psychedelisches Ego zu entwickeln. Das passiert, ohne dass man es merkt. Man empfindet sich als Teil einer verschworenen Gemeinschaft, die sich Zugang zu einer exklusiven, anderen Dimension verschafft. Und man beginnt, auf diejenigen hinunterzublicken, die nur die triviale Alltagsrealität kennen.

Erst mit der Zeit war ich bereit zu akzeptieren, dass auch ich nur ein ganz normaler Mensch mit Alltagsproblemen bin. Nach zwei Jahren kehrte ich zu der Gruppe zurück. Meine Reisen verliefen fortan anders. Es ging viel stärker um meine Gefühle, meine Lebensthemen und frühkindlichen Verletzungen. Die Erlebnisberichte der anderen und ihre Rückmeldungen in der Nachbesprechung halfen mir, genauer hinzuschauen und mich auf bewusste Art mit mir selbst auseinanderzusetzen.

Für diese Art von Innenschau eignet sich besonders MDMA. Ich genehmige mir das herzöffnende Empathogen alle drei bis vier Monate – immer allein. MDMA erlaubt mir nachzuschauen, wie es mir wirklich geht. Ich führe dann jeweils laute Zwiegespräche mit mir selbst, stelle mir Fragen, und es kommen Antworten.

Meine persönlichen «Problemzonen» verschwinden dabei nicht einfach, aber mit MDMA kann ich sie liebevoll als etwas annehmen, das zu mir gehört. Wenn das passiert, lösen sich langjährige Blockaden ganz unerwartet auf. Unter dem Einfluss von MDMA bist du während vier bis fünf Stunden empathisch mit dir selber, einverstanden mit dem, was gerade ist. Dieses bedingungslose Einverstandensein ist eine zutiefst mystische Erfahrung. Im Alltag verhindert dein kontrollierender Verstand in der Regel derartige Einheitserfahrungen.

Wenn du mich fragst, was ich von den Substanzen gelernt habe, würde ich sagen: Ich bin oftmals von einer grossen Dankbarkeit erfüllt. Ich habe das Gefühl, vom Leben reich beschenkt worden zu sein. Ich erlebe mein Leben heute als viel sinnhafter als vor 23 Jahren, als ich mit den Substanzen anfing. Und ich fühle mich stärker verbunden – mit mir selbst und der Welt. Aber vielleicht spielt da auch mein Älterwerden eine Rolle.

Seit anderthalb Jahren leite ich in Zürich eine Gesprächsgruppe zur Integration von psychedelischen Erfahrungen. Dort treffen sich unterschiedliche Menschen, die sich über ihre Erfahrungen mit Psychedelika und MDMA austauschen möchten: Junge, die gerade am Ausprobieren sind, aber auch viele ältere Leute, die in ihren Jugendjahren vielleicht Erfahrungen mit Substanzen gemacht haben und jetzt nach vielen Jahren wieder einmal LSD genommen haben.

Die Gruppe habe ich ins Leben gerufen, weil Psychedelika in der Schweiz nach wie vor kriminalisiert und stigmatisiert sind. Wer diese Substanzen trotzdem nimmt, wird mit seinen tiefgreifenden Erfahrungen oftmals alleine gelassen. Wenn du mit keinem darüber reden kannst, weil deine Partnerin, dein Partner, deine Kinder oder deine Freunde «Drogen» verurteilen, dann kann das sehr belastend sein. In der Gesprächsgruppe haben wir Gelegenheit, uns über unsere psychedelischen Erfahrungen auszutauschen. So können wir herausfinden, wie sie sich in unseren Alltag integrieren lassen.

Ich finde, Psychedelika müssten legalisiert werden. Die Kriminalisierung dieser Substanzen steht in keinem Verhältnis zu ihrem Gefährdungspotenzial. Die Eigen- und Fremdgefährdung von Psychedelika liegt bei einem achtsamen Umgang praktisch bei Null. Das ist wissenschaftlich gut belegt. Nichts spricht dagegen, dass Psychedelika legalisiert und analog zu Nikotin und Alkohol reguliert verkauft werden könnten. Es ist absurd, dass der Staat uns vorschreibt, welche Bewusstseinszustände wir erreichen dürfen und welche nicht!

Es gibt schon lange die Idee eines LSD-Führerscheins, für den man praktische und theoretische Kenntnisse über psychedelische Substanzen nachweisen müsste, um sie legal beziehen und konsumieren zu können. Das halte ich für eine prüfenswerte Idee. So könnten jene, die eine solche Erfahrung machen möchten, saubere und korrekt dosierte Substanzen beziehen und müssten keine Strafverfolgung befürchten.

Wären Psychedelika legal und würden wir in der Gesellschaft offener damit umgehen, könnten wir die tiefgreifenden Erfahrungen, die sie uns ermöglichen, sicher besser einbetten. Psychedelika sind sehr wirkmächtige Substanzen. Ihr Konsum kann dein Leben durcheinanderbringen oder es in neue Bahnen lenken. Eine gewisse Auseinandersetzung damit ist deshalb wichtig. Substanzen sind heute dank des Internets fast etwas zu leicht zugänglich geworden.

Wenn man aus reinem Spass und ohne jegliche Vorbereitung Psychedelika konsumiert, lernt man daraus wohl eher wenig. Ich will rein hedonistischen Konsum nicht per se verurteilen. Dass junge Menschen den Rausch suchen und Extremerfahrungen fernab des Alltags machen möchten, hat schon seine Berechtigung. Aber was du von den Substanzen bekommst, ist immer davon abhängig, wie es dir geht, was du suchst und wie die Rahmenbedingungen beim Konsum aussehen. Ein und dieselbe Substanz kann dir im Club einfach einen krassen Rausch verschaffen oder während einer geleiteten Zeremonie eine zutiefst spirituelle Erfahrung ermöglichen. In beiden Fällen ist das Erlebnis wunderbar – und doch sollte man die Wirkung besser nicht unterschätzen.

 

Text: Elle
Bild: Levin

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