Thierry
, 47

Pfleger in einem Spital, Adliswil ZH

Ich bin in einem ruhigen Quartier in der Stadt Zürich aufgewachsen und habe meine Kindheit auf dem Tennisplatz verbracht. Mit meinen Freunden vom Tennisclub entdeckte ich schon früh verschiedene Substanzen. Mit 14 habe ich gekifft, mit 17 LSD und Pilze probiert, mit 20 MDMA. Irgendwann entdeckten wir die Goa-Szene.

Mich haben diese Leute unheimlich fasziniert. Während meine Freunde am Open Air St. Gallen Unmengen an Alkohol tranken, dort Stühle herumflogen und überall Abfall am Boden lag, floss hier kein Tropfen Alkohol. Alle waren high, aber die Stimmung war herzlich und man las jeden Fötzel vom Boden auf. Ich fühlte mich bei diesen Menschen wohl, aber gleichzeitig war mir immer sehr bewusst, dass wir etwas Illegales machten.

Also hielt ich auch immer Abstand. Freundschaften wollte ich lieber mit Menschen «in der echten Welt» haben, weil ich Angst hatte, in der Gesellschaft irgendwann nicht mehr zurechtzukommen.

Ich war ein pflichtbewusster Jugendlicher und wollte alles richtig machen – sehr protestantisch. Dass ich konsumierte, habe ich als illegales Laster empfunden, obwohl ich es durchaus gerne machte. Meine Eltern waren streng, mein Vater hielt mich für begabt, aber faul. Um mich zu beweisen, habe ich mir in der Schule grösste Mühe gegeben und es von der Real- in die Sekundarschule geschafft.

Meine Mutter kämpfte sehr gegen mein Kiffen – vom Rest wollte sie gar nichts wissen. Ausser einmal, da hat sie mich als Schocktherapie wortlos durch den Platzspitz gelotst. Erst als ihr ein befreundeter Arzt gesagt hat, dass Kiffen viel weniger schädlich sei, als wenn ich dauernd trinken würde, hat sie sich etwas beruhigt.

Alkohol habe ich damals nie getrunken, aber irgendwann fing ich damit an, weil ich zu jenen Freunden den Anschluss verloren habe, die mit Goa und Substanzen nichts am Hut hatten.

Heute bin ich Vater von zwei Söhnen. Sie sind elf und neun Jahre alt. Von meiner Frau lebe ich seit fünf Jahren getrennt. Obwohl ich mich so viel glücklicher fühle, empfand ich das Ende unserer Ehe lange als mein persönliches Versagen. Mir ist die Beziehung zu meinen Söhnen sehr wichtig und wir teilen uns die Zeit mit ihnen 50:50. Wir sind sehr offen miteinander und ich will, dass sie mir alles sagen können. Nur von meinem Konsum wissen sie nichts.

Es beschäftigt mich, dass ich diese wichtige Seite von mir vor ihnen verheimlichen muss. Irgendwann werde ich sie aufklären, aber es ist noch zu früh. Nicht wegen ihnen, sondern weil sie davon in der Schule erzählen könnten. Ich weiss nicht, welche Konsequenzen das haben könnte. Es ist verrückt, dass wir zwar völlig selbstverständlich vor unseren Kindern trinken und rauchen, aber viel weniger gefährliche Substanzen verheimlichen wir komplett.

Gegenüber allen anderen bin ich aber absolut transparent. Ich habe schon lange damit aufgehört, mich gegenüber irgendwem zu verstellen. Ich möchte überall so sein, wie ich bin. Wenn wir über unser Wochenende sprechen, erzähle ich darum auch im Spital davon, wenn ich konsumiert habe. Ich bin in unserer Abteilung der einzige Konsument.

Die anderen machen manchmal Sprüche, andere sind interessiert und finden es spannend. Ich sage ihnen immer: Ihr verschreibt so viel Chemie – warum soll das anders sein?

Meine Substanzen bekämpfen Ursachen, eure jedoch nur Symptome. Einem unserer Oberärzte habe ich im Frühling ein Fläschchen mit zwei Tropfen LSD gebracht. Er meinte, das wäre das einzige, das er vielleicht einmal probieren würde. Ich weiss nicht, ob er es genommen hat. Ich glaube eher nicht, dass er sich traut.

Substanzen waren in meinem ganzen Leben wichtig. Ich konsumiere gerne an Partys, weil es Spass macht. Aber ich interessiere mich auch für deren therapeutisches Potenzial. Mir ist klar, dass Substanzen keine Therapie ersetzen können: Nach der Trennung von meiner Frau ging ich jahrelang einmal pro Woche in eine Psychotherapie. Ich wollte endlich die Themen aus meiner Kindheit aufarbeiten. Für diese systematische Auseinandersetzung brauchte ich einen Therapeuten.

Andererseits haben mich Substanzen in meiner Persönlichkeitsentwicklung ebenso weitergebracht. Meine Lieblingssubstanz ist diesbezüglich Ketamin. In kleiner Dosis ist Ketamin an Partys eine lustige Sache, aber hochdosiert ist es eine ganz andere Geschichte. Es wird ja schon lange therapeutisch angewendet, darf aber erst verschrieben werden, wenn alle anderen Psychopharmaka erfolglos waren. Zuerst soll schliesslich die Pharmaindustrie ihr Geld verdienen. Ich finde das skandalös, vor allem weil die Ketamin-Therapie grossen Erfolg hat.

Ich experimentiere gerne mit hohen Dosen, nehme durchaus auch mal 200 Milligramm. Idealerweise sollte schon jemand dabei sein, aber dank meinem Beruf weiss ich, dass ich mich damit nicht umbringe. Ich habe auch schon aus Neugierde meinen Puls und meine Sauerstoffsättigung gemessen. Alles im grünen Bereich.

Eines meiner intensivsten Ketamin-Erlebnisse war eine Wiedergeburt. Ich spürte einen inneren Drang, alles loszulassen. Zuerst alles Materielle, dann meine Schuldgefühle, dann meine Eltern und meine Freunde. Ich befand mich in einem Trichter, an dessen Ende ich ein helles Licht sah, das mich magnetisch anzog. Das klassische Licht am Ende des Tunnels. Ganz am Schluss musste ich auch meine Kinder loslassen. Ich weinte und sehnte mich gleichzeitig nach dieser grenzenlosen Freiheit.

Als alles weg war, stellte sich eine unbeschreibliche Glückseligkeit ein, ich fühlte mich wie im Nirvana. Diese riesige Freiheit spürte ich sicher noch ein Jahr lang in mir, das hallte richtig lange nach.

Mit DMT erlebte ich ähnlich intensive Dinge. Ich hatte mit zwei Freunden einen Schamanen organisiert, der uns in eine Berghütte im Bündnerland begleitete. Ich nahm es drei Mal und drei Mal konnte ich mit einem göttlichen Wesen sprechen, das mich zwar freundlich empfing, aber mir auch zu verstehen gab, dass es auf der Erde für mich noch viel zu tun gab. Ich soll nicht allzu oft herkommen, sagte es – hierher käme ich erst später.

Und andere Substanzen? Kokain ist gar nicht mein Ding. Jeder fühlt sich stark und schaut nur noch für sich. Es wundert mich nicht, dass Koks und Alkohol in der kapitalistischen Gesellschaft weit verbreitet sind.

Wären Psychedelika gesellschaftstauglich, hätten wir eine gutmütige und naturverbundene Welt. Niedrig dosiertes LSD kombiniere ich im Ausgang oft mit MDMA oder Ketamin. Hochdosiert empfinde ich es als ziemlich anstrengend, es verlangt mir viel ab. Pilze sind da wohlwollender und haben für mich therapeutisch mehr zu sagen.

Was ich bis jetzt noch nie probiert habe, ist crystal meth. Das werde ich wohl auch nie probieren. Einige wenige Male habe ich Opium geraucht, das Suchtrisiko ist mir allerdings zu hoch. Sobald ich ins Pflegeheim komme, fange ich aber damit an, so viel ist sicher. Alles zu seiner Zeit.

Text: Elle
Bild: KI-generiert von Levin

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