Margrit
, 68

Pensionierte Pflegefachfrau, Wildhaus SG

Es dauerte lange, bis ich das erste Mal mit Substanzen in Berührung kam. Ich bin im Toggenburg als ältestes von sieben Kindern aufgewachsen und erlebte eine glückliche Kindheit in einem liebevollen Elternhaus. Als Jugendliche habe ich nie gekifft. Konsum war für mich vierzig Jahre lang ganz weit weg.

Alles begann mit einer Psychotherapie, die ich im Rahmen einer Weiterbildung machte. Ich war knapp 40 Jahre alt, hatte drei Kinder und lebte mit ihnen und meinem damaligen Partner Oskar zusammen. Irgendwann sprach mich meine Therapeutin auf substanzbegleitete Reisen an, die sie zusammen mit einem Arzt inoffiziell anbot. Ich war sofort interessiert.

Ich weiss ehrlich gesagt nicht mehr, was wir damals konsumierten. Es ist schon so lange her. Wir waren ungefähr zwanzig Menschen. Alle nahmen zur Zeremonie ein Thema aus ihrer Therapie mit. Ich weiss noch, dass eine der Substanzen für mich eher schwierig war. Ich war froh, als ich aus dieser orientierungslosen Weite wieder zurück in den etwas engeren Käfig meines Körpers zurückkehren konnte. Die ganze Erfahrung war aber sehr faszinierend. Oskar hatte zu Hause auf die Kinder aufgepasst und als ich nach Hause kam, sagte ich ihm: Das musst du auch probieren.

Seither unternehme ich seit über 20 Jahren immer wieder bewusstseinserweiternde Reisen. Der Rahmen ist oft ähnlich. Damals hatte ich Freunde, die in Zürich lebten und Zugang zu Substanzen hatten. Sie kauften sie jahrelang an einem Stand auf einem Stadtzürcher Gemüsemarkt. Unsere Reisen unternahmen wir jeweils in kleiner Runde bei einem von uns zu Hause. Wir trafen uns am Nachmittag, kochten Suppe und richteten den Raum gemütlich ein. Am frühen Abend schluckten wir unsere LSD-Filze. Nach zwei Stunden nahmen wir MDMA dazu. Dank dieser Mischung erlebt man zuerst das reine LSD, danach kommt die herzöffnende Wirkung hinzu. Die Wirkung beider Substanzen nimmt dann gleichzeitig langsam ab. Um Mitternacht gingen wir schlafen. Am nächsten Morgen beim Frühstück tauschten wir uns über unsere Erfahrungen aus oder machten noch einen Spaziergang.

Das machten wir einige Male pro Jahr. Meine Erlebnisse waren ausschliesslich positiv. LSD kann streng sein, aber die Substanz trägt mich immer zu einem Ort des Friedens. Das ist nicht für alle Menschen so. Gelegentlich begleite ich eine Freundin, die einen schweren Rucksack mit sich trägt. Sie kämpft auf einem Trip die ganze Zeit. Obwohl wir beide es ganz anders erleben, hilft uns die Substanz beiden, uns persönlich weiterzuentwickeln. Auch meinen Freunden, mit denen ich diese Erlebnisse jahrelang teilte, haben unsere Reisen sichtlich gutgetan.

Einer ist ein Chirurg, ein sehr verkopfter Mensch, sehr strukturiert. Als er Krebs bekam, konnte er nicht damit umgehen. Als es ihm sehr schlecht ging, fand er über einen befreundeten Arzt zu LSD. Das hat in ihm ganz viele Knöpfe gelöst.

Als meine Beziehung mit Oskar nach einer sehr kräfteraubenden Zeit zerbrach, hatte ich ein Erlebnis, das mich bis heute prägt. Die Kinder waren schon ausgezogen, wir lebten damals abgelegen in unserem schönen, alten Haus. Es war der zweite Januar, als Oskar ging. In mir machte sich noch in derselben Nacht eine Leere breit, die durch jeden Winkel meines Körpers drang. Ich legte mich hin und realisierte sofort, dass ich mich in das, was nun geschah, fallen lassen musste.

Vor meinem inneren Auge zog mein ganzes Leben an mir vorüber. Ich fühlte mich unendlich erschöpft von den letzten Wochen und gleichzeitig spürte ich mit einer gewissen Euphorie, dass alle Ereignisse meines Lebens stattgefunden hatten, um mich zu genau diesem Moment zu führen.

In der Nacht wachte ich auf und ging in den oberen Stock des Hauses. Dort gab es ein leeres Zimmer. Ich stand da und fühlte die Leere in mir. Ich war ohne Gefühl, ohne jegliche Regung. Da war nichts mehr. Nur Stille.

Am nächsten Tag im Spital merkte meine Vorgesetzte sofort, dass mit mir etwas nicht stimmte. Ich war fahrig, übermütig, redete energievoll auf Patienten ein. Manche Kolleginnen reagierten fasziniert, andere machten sich Sorgen. Meine Chefin brachte mich zum Oberarzt und ich sagte diesem sofort: «Ich brauche frei! Drei Monate.» Fürs Arztzeugnis musste ich zu einem Psychiater. Der wollte mir ein Temesta geben, aber ich sagte ihm: «Das brauche ich nicht! Mir geht es gut, ich muss mich einfach dem stellen, was gerade mit mir passiert.»

Ich erinnere mich noch heute an seinen Gesichtsausdruck. «Na, welche Diagnose schlagen sie vor, Herr Doktor?», fragte ich ihn. Er sah mich an und sagte: eine Glückspsychose.

Er hatte recht. Ich glaube, ohne meine Erfahrungen mit Substanzen wäre ich damals psychotisch geworden. Was ich erlebte, machte mir aber keinen Moment lang Angst. Ich wusste immer: Das gehört jetzt dazu, das ist Teil eines Prozesses. Es wird wieder vorbeigehen. Und ich ging mit voller Neugierde hinein. Es kamen grosse Themen auf. Themen der Weiblichkeit, der Selbstfürsorge und des Sterbens. Ich starb in dieser Zeit drei Mal. Ich war weg. Kam wieder. Tag für Tag durchforstete ich mein Inneres. Und dann, nach zwei Wochen, senkte sich mein Geist zurück auf die Erde und es wurde still.

Ich weiss noch, wie ich in den Garten trat und verwundert die friedvolle Stille wahrnahm. Und da realisierte ich: In meinem Kopf war es endlich ruhig geworden. So etwas wie damals habe ich nie wieder erlebt. Ich bin mir sicher: Ohne meine Substanzerfahrungen wäre ich in einer psychotischen Krise gelandet. Stattdessen empfinde ich diese Zeit als highlight meines Lebens.

Heute bin ich vierfache Grossmutter. Ich habe zwar noch MDMA im Kühlschrank, aber ich habe schon länger nichts mehr konsumiert. In den letzten Jahren hatte ich nicht mehr das Bedürfnis danach. Das Leben ist auch so schön genug. Und das Gefühl ist ja immer da. Nur mit meiner jüngsten Tochter würde ich gerne einmal eine Reise machen. Sie hat auf meine Erzählungen früher abwehrend reagiert, inzwischen ist sie aber interessiert. Wer weiss? Ich glaube, das wäre eine wunderschöne Erfahrung für uns.

Text: Elle
Bild: KI-generiert von Levin

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