Esteban
, 78

Lebenskünstler, Basel

Meine Jugend war nicht so geniessbar. Ich bin das älteste von sechs Kindern und war oft Aussenseiter. Vieles im Alltag hat mich einfach nicht so interessiert. Ich hatte langsam immer längere Haare. In Zürich gab es damals nur vier Beizen, wo man so reindurfte. Im Jahr 68 fanden die Globus-Krawalle statt. Es war eine rabiate Zeit.

Im selben Jahr war ich allein in Marokko unterwegs. Dort rauchte ich zum ersten Mal Cannabis. Da habe ich realisiert, dass ich nicht dazu verurteilt bin, wegen meiner Jugend deprimiert zu sein. Ich war dann noch in Kreta und habe in den Ruinen von Knossos geraucht.

In Zürich kam an einer Demo einfach jemand auf mich zu und fragte, ob ich in eine WG ziehen wolle. Das habe ich gemacht. Es gab das Gefühl: Wir gegen die Anderen. Im Keller hatten wir einen Verstärker, womit wir Musik spielten. Im ersten Stock war ein Atelier mit weissen Wänden. Wir hatten so kleine Zimmer wie Waben in einem Bienenstock. Das war die Hippie-Zeit. Die Beziehungen waren frei.

Ich habe mich immer gegen die Bezeichnung «Hippie» gewehrt. Natürlich, ich hatte immer lange Haare, aber der Begriff sagt für mich viel zu wenig aus über den einzelnen Menschen.

Über die WG kam ich zum LSD. Ich war total neugierig, wie das ist und habe meine Mitbewohner immer wieder danach gefragt. Irgendwann haben sie mir ein Viertel gegeben. Ich weiss noch, wie sie mir während des Trips ein Buch von M.C. Escher hingehalten haben und wie ich mir den Bauch halten musste vor Schmerzen, weil ich so viel gelacht habe.

Im Winter 1970 hatte ein Freund eine Idee: Einen Ort zu finden, mit Bach, in der Natur, wo wir den Sommer verbringen können. Daraus wurden drei Sommer auf 1800 Metern. Das war im Wallis im Gerental. Einmal pro Monat hat es geschneit. Es war eine Art Überlebenslager. Ich war damals 23-jährig.

Dort oben haben wir viel experimentiert und viele Trips gemacht. Vielleicht einmal pro Woche? Meistens sind wir einzeln in die Pampa und haben uns später wieder getroffen, um gemeinsam Musik zu machen. Die ganz Jungen haben wir begleitet, nicht dass die ausflippen und man dann mit einem Valium dahinter musste. Wir haben auch 16-Jährige dort oben versteckt.

Als Mensch haben wir fünf Sinne und dazwischen Barrieren, die auf einem LSD-Trip aufgeweicht werden und wegfallen. Ich habe die Landschaft mit den Ohren wahrgenommen, so wie Musik. Es war eine Reinigung, auch körperlich.

Als ich damals auf der Alp Wasser aus den Bergbächen trank, spürte ich, wie das anders schmeckte, je nachdem ob es über eine Wiese oder über Felsen geflossen war.

Mir war klar: LSD ist der Lift nach oben. Es ist wie ein Duft, eine Farbe, eine Art Licht, das überall drin ist, und das man wiederfindet. Magie? Jemand sagte mal: «Am besten nimmst du das in einer Umgebung, wo alles älter ist als 500 Jahre.» Das stimmt.

Die ältere Generation hat klassische Musik gehört, um auf diese Ebene zu kommen. Man kann es die «göttliche Ebene» nennen.

Im Wallis haben wir mit der Zeit Steinhütten gebaut. Als Dächer brauchten wir Transparente von den Demos in Zürich. Es waren Makrobioten dabei und wir waren alle Vegetarier. Alkohol interessierte uns nicht und wir hatten auch kein Geld dafür. Wir sind oft einfach nackt herumgelaufen. Wir haben nächtelang einfach ins Feuer geschaut und liessen uns nach hinten kippen, wenn wir müde waren.

Über den ganzen Sommer waren insgesamt wohl gegen 1000 Leute da. Die im Dorf unten haben uns nicht verstanden. Einer sagte: Entweder sind das alles Heilige oder sie sind vom Teufel. Nur der Dorflehrer hat uns unterstützt.

Ich habe über 100 Trips gemacht. Einer ist dann mal fast ins Bodenlose gekippt. Das wurde mir zu viel, das wurde happig. Man hatte sich schon auch überschätzt. Man wollte speziell sein. Es ist wie mit einem Baum. Er wächst nur, wenn die Wurzeln halten. Je tiefer die gehen, je höher kannst du fliegen. Wir sind Wahrnehmungsinstrumente, die mit allen Höhen und Tiefen umgehen können müssen.

Es gibt im Leben zwei Möglichkeiten, oder zwei wesentliche Richtungen: Entweder du suchst einen Lehrer oder einen Guru. Oder du spürst es von innen. Für mich war das Religiöse immer wie ein Segelschiff, wo ich mein eigenes Wappen drauf malen wollte. Ich kann das nicht kopieren. Ich habe damals festgestellt, dass ich nicht einfach abdriften kann in eine gewisse Schule. Das war nicht mein Ding.

Ein grosser Teil dieser Untergrund-Kultur lief damals über Sergius Golowin. Das hatte schon eine Eigendynamik. Du konntest einfach an Orte gehen und du wusstest: du kannst dort schlafen, es gab etwas zu rauchen. Es war ein «Völkli», da fühlte ich mich zugehörig und wohl. Man musste sich nicht erklären. Heute gibt es keine Hippie-Szene mehr. Es ist nicht mehr das gleiche.

Trotzdem bin ich bis heute buchstäblich begeistert von den vielen Erlebnissen. Ich kann gar nicht sagen, wann ich zum letzten Mal einen LSD-Trip gemacht habe. Das flaute irgendwann ab. Ich hatte Angst, dass mir bewusst wird, wie wenig davon ich wirklich angewendet habe. Ich wusste, ich hätte Top-Maler, -Musiker oder -Mathematiker werden können. Aber ich habe viel gefeiert. Andere Menschen haben irgendwann Familien gegründet, studiert oder sind in ganz speziellen Richtungen gelandet. Von all dem habe ich nichts.

Ich glaube, ich habe diese Erfahrungen wegen dem Bedürfnis gesucht, mich selbst zu spüren. Man will ja auch verstanden werden. Mit 40 habe ich dann realisiert: Ich muss nicht von Hinz und Kunz verstanden werden. Dann ging es mir gleich besser.

Gekifft habe ich weiterhin. 1984 habe ich ein Diplom für Soziale Arbeit gemacht. Dort haben wir sogar mit dem Lehrer gekifft. Auch heute noch, an einem schönen Fest mit guten Leuten, nehme ich gerne einen Zug. Das geht. Meine Lunge funktioniert aber nicht mehr so wie früher. Im Sommer trinke ich auch gerne ein paar Bierli am Rhein.

Man muss versuchen, all die verschiedenen Farben des Lebens zu erfassen und damit den Alltag zu bewältigen. Auch die Grautöne. Heute kenne ich Menschen, die Zugang zu so vielen Ebenen haben. Dazu gehören viele Frauen. Sie leben so gesund. Ich frage mich manchmal: Musste ich Drogen nehmen, um das zu sehen?

Text: Luis
Bild: KI-generiert von Levin

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