Informatiker, Zürich
Ich bin im Bündnerland aufgewachsen, in einem schmalen Tal, das sich immer zu klein anfühlte. Zürich hat mir schon als Kind imponiert und fürs Studium konnte ich endlich in die grosse Stadt ziehen. Bis heute lebe ich mitten im Kreis 4.
Psychoaktive Substanzen habe ich erst vor fünf Jahren entdeckt. In meinem Bündner Tal werden Substanzen sehr negativ wahrgenommen. Wir kannten nur die Kokser aus Hollywoodfilmen. Wir tranken zwar andauernd Alkohol, aber hatten ein klares Bild im Kopf: Wer einmal kokst, der spritzt morgen Heroin. Die meisten Leute, die ich von früher kenne, würden niemals etwas probieren. Sie haben viel zu viel Angst.
Mir war aber schon immer klar: Wenn sich eine Gelegenheit ergibt, möchte ich es gerne probieren. Nur ergab sie sich sehr lange nicht.
Erst vor fünf Jahren war es dann soweit. Meine damalige Partnerin Anna hatte eine gute Freundin mit viel Erfahrung. Die sprachen wir an. An einem Samstagabend kam sie zu uns nach Hause und brachte für alle drei MDMA mit. Anna und ich hatten Angst, draussen damit herumzulaufen. Darum nahmen wir es zuhause und gingen dann ins Hive.
Das erste Mal ist ja etwas ganz Spezielles, das lässt sich später nie mehr reproduzieren. Das Hive ist ein guter Ort fürs erste Mal, weil die Leute in der Elektroszene so herzlich und unvoreingenommen sind. Ich habe mich sehr aufgehoben gefühlt. Es war ein wunderbarer Abend, ich werde diese Erfahrung nie vergessen.
Nach diesem ersten Mal wussten wir: Wir wollen mehr! Um Annas Freundin nicht wieder zu belästigen, recherchierte ich neue Quellen. Als Informatiker war das Darknet die naheliegende Lösung. Wir kauften an der Langstrasse Bitcoins und fühlten uns sehr abenteuerlich dabei. Die erste Bestellung machte mich ziemlich nervös. Es klappte aber reibungslos.
Wir liessen das MDMA testen und versuchten dann, von Auge dieselbe Portion abzuschätzen wie beim ersten Mal. Da haben wir es natürlich prompt unterschätzt. Es passierte nichts weiter Schlimmes, wir hatten trotzdem einen guten Abend. Allerdings biss ich mir vor lauter Kieferkrämpfen versehentlich ein Stück des Backenzahns ab. Daraufhin kauften wir uns eine Waage.
Es kam eine Zeit, in der wir sehr viel konsumierten. Eigentlich jedes Wochenende, manchmal auch zwei Abende hintereinander. Es war neu und es war die beste Sache der Welt. Ich hatte zum Selbstschutz von Anfang an drei Regeln aufgestellt, die ich bis heute nie gebrochen habe. Erstens: Konsumiere nie im Alltag – wenn du müde bist, bist du müde. Zweitens: Konsumiere nur, wenn es dir gut geht und nie in der Absicht, dich aufzuheitern. Drittens: Konsumiere nie allein. Diese Regeln funktionieren bis heute sehr gut.
Heute konsumiere ich vor allem Amphi. MDMA nehme ich selten und nur dann, wenn die Stimmung dafür stimmt. Koks mag ich im Club weniger, das macht mich kalt und abweisend. Ein Abend wird dadurch meistens nicht besser. Das mache ich höchstens mal zu Hause in einer gemütlichen Runde mit Freundinnen und Freunden zusammen.
Dass die Substanzen, die ich konsumiere, illegal sind, finde ich nicht so schlimm. Dadurch entsteht in der Gesellschaft vielleicht sogar eine gewisse Hürde, sie zu konsumieren. Das ist nicht nur schlecht. Trotzdem finde ich es toll, dass man sich in Zürich nicht verstecken muss. Ich habe mir jedenfalls noch nie Sorgen gemacht, erwischt zu werden, wobei ich zugeben muss, dass ich nicht genau weiss, was die juristischen Konsequenzen wären.
Im Bündnerland ist das ganz anders. Meine Eltern und meine Schwester wissen nichts von meinem Konsum. Das käme ihnen gar nicht in den Sinn. Da nützt es auch nichts, dass ich ein ganz normales Leben führe und einen guten Job habe. Wenn sie es wüssten, würden sie sich riesige Sorgen machen.
Bei meinen Bündner Freundinnen und Freunden ist es ähnlich. Das Thema kam einmal zufälligerweise auf, da habe ich offen gesagt, dass ich konsumiere. Sie haben sofort das Thema gewechselt. Unsere Beziehung hat sich seither nicht verändert, aber ich bin jetzt für sie wohl der Zürcher, der kokst – das passt so ins Bild. Meine wenigen Versuche, mit ihnen differenziert über Substanzen sprechen zu wollen, sind immer wieder gescheitert. Sie wollten nichts davon hören. Ich glaube, ihre Vorurteile sind viel zu tief verankert.
Nur ein einziges Mal kam es in Graubünden zu einem ehrlichen Gespräch: An unseren Familienweihnachten zog mich meine 29-jährige Cousine beiseite und fragte mich über MDMA aus. Das war ein sehr schönes Gespräch.
Warum sie ausgerechnet mich darauf angesprochen hat, ist mir aber bis heute ein Rätsel. Ich glaube, man spürt unbewusst, mit wem man darüber reden kann, und mit wem nicht.
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