Primarlehrerin, Basel
Ich bin in einem kleinen Dorf im Baselbiet aufgewachsen. Als ich um die 20 war kamen die grossen Techno-Raves auf. An einer solchen Party kam ich zum ersten Mal mit MDMA in Berührung. Jemand bot mir eine Pille an, und ich nahm sie.
Diese Nacht war ein überwältigendes Erlebnis. Ich fühlte mich jung und frei und ich liebte es, Party zu machen. Bald ging ich jedes Wochenende aus und konsumierte regelmässig. Meine Mutter bemerkte natürlich, dass ich montags immer übernächtigt war. «Sag mal, du nimmst aber nicht etwa Drogen?», fragte sie mich einmal. Diese Suggestivfrage konnte ich nur mit «Nein» beantworten. Sie hat nie mehr nachgefragt.
Natürlich drangen in dieser Zeit Horrorstories vom Platzspitz zu mir durch. Aber ich abstrahierte das komplett – diese Geschichten hatten nichts mit mir zu tun.
Mein Leben funktionierte nach Plan, bald würde ich die Ausbildung zur Lehrerin abschliessen, in die Stadt ziehen und leben, wie ich wollte.
Irgendwann musste ich mir aber eingestehen, dass mein ausschweifendes Partyleben an meinen Energiereserven zehrte. Meine Abschlussprüfungen standen an und ich merkte: Wenn ich das packen will, muss ich bremsen. Also bremste ich. Ich bestand die Prüfungen und trat meine erste Stelle als Lehrerin in Liestal an.
Meinen Beruf nahm ich sehr ernst. Hin und wieder ging ich weiterhin an Raves und konsumierte gelegentlich, aber es fühlte sich irgendwie falsch an – als ob ich ein geheimes Parallelleben zu meiner seriösen Alltagsexistenz führen würde.
Dann lernte ich einen Mann kennen, der mich mit der substanzbegleiteten Psychotherapie in Verbindung brachte. Mit 27 nahm ich erstmals an einer mehrtägigen Sitzung teil. Wir waren eine kleine Gruppe, wurden in der Meditation und in Atemübungen angeleitet. Nach unserer LSD-Reise folgte Integrationsarbeit mit Gruppengesprächen und Reflexion. So entdeckte ich LSD für mich. Ich hatte es vorher schon einige Male an Partys probiert, aber nie auf diese Art.
MDMA interessierte mich nun immer weniger. Die emotionalen Tiefs in den Tagen danach nahmen mich immer mit und ich konnte dies immer weniger mit meiner Verantwortung als Lehrerin vereinbaren. Dafür eröffnete LSD mir eine neue Welt.
In den Nullerjahren begann für mich nochmals eine neue Lebensphase. Ich lernte meinen späteren Mann kennen und es passierte alles ganz klassisch: zwei Jahre Beziehung, dann Hochzeit, dann Kinder. Für mich begann eine extrem anspruchsvolle Zeit. Die Beziehung war von Beginn weg belastet und unsere Kinder waren von Anfang an schwierig. Beide schliefen schlecht, die ältere Tochter hatte eine Immunschwäche und war oft krank. Ich managte alles: den Mann und seine Launen, die Kinder und ihre Schwierigkeiten.
Meine eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen hatte ich mir regelrecht abtrainiert. Irgendwann brach ich zusammen. In der Psychiatrie kam ich an meinen absoluten Tiefpunkt.
Allmählich realisierte ich, dass ich mein Leben neu ausrichten musste. Ich machte eine Psychotherapie und begab mich auf eine Reise zu mir selbst. Ich begann, eine yogische Lebensweise anzunehmen, meditierte regelmässig, las viel und sorgte für genügend Schlaf.
So lernte ich, meine Bedürfnisse wieder wahrzunehmen und zu akzeptieren, wie sich mein Leben entwickelt hat.
Diese tiefe Auseinandersetzung mit sich selbst kann auf verschiedene Arten stattfinden. Manche Menschen erleben dies durch Reisen oder bei einem Marathonlauf. Meine Erfahrungen mit Substanzen haben dazu beigetragen, dass sich mein Blick auf die Welt nachhaltig verändert hat. Sie haben mir Zugang zu meiner Spiritualität ermöglicht und mir geholfen, mich «im grossen Ganzen» wiederzufinden. Sie waren ein kleiner, aber wichtiger Teil meines Heilungsprozesses.
Gegenüber meiner Psychiaterin sprach ich meinen Konsum nie an. Ich befürchtete, dass sie ihn problematisieren und wir uns zu stark damit beschäftigen würden. In meiner Therapiestunde wollte ich mich aber mit meinen Problemen und meiner Beziehung auseinandersetzen.
Ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, dass der Konsum psychoaktiver Substanzen auch bei Fachleuten oft als problematisch angesehen wird und sie einen undifferenzierten Blick darauf haben.
Mit der Zeit begann ich wieder auszugehen und gelegentlich LSD zu konsumieren, allerdings nur in kleinen Mengen, höchstens 40 Mikrogramm. Ich fühlte mich wieder als Teil des sozialen Lebens und nahm ein Teilpensum als Lehrerin an, das mir viel Freude bereitete.
LSD bescherte mir in dieser Zeit eine willkommene Pause von meinem depressiven Ich. Langsam lockerten sich dadurch auch meine starren Denkmuster und das Leben erschien mir nicht mehr so bedrohlich. Die Substanz ermöglichte mir freudvolle Einblicke in meine innere Welt, die ich als wunderbares Geschenk des Universums dankend annahm.
Heute bin ich glücklich. Manchmal treffe ich an Raves ehemalige Schüler:innen. Die stehen dann ungläubig vor mir und kichern. Wenn ich erwähne, dass ich schon in ihrem Alter an Raves war, finden sie es wahnsinnig cool. Dann lachen wir zusammen.
Meinen Beruf liebe ich über alles. Ich arbeite nun seit 10 Jahren an derselben Primarschule und habe dort einen guten Ruf. Im Kollegium ist bekannt, dass ich der elektronischen Tanzmusik zugetan bin. Mein Konsum tut dort nichts zur Sache.
Mein Ziel ist es, junge Menschen zu inspirieren und ihnen auf dem Weg in ihr Erwachsenenleben ganz viel Liebe mitzugeben. Darin fühle ich mich bestätigt und wertgeschätzt. Darum fühlt es sich heute auch nicht mehr so an, als ob ich ein Parallelleben führen würde.
Ich fühle mich immer mehr bei mir angekommen und verwurzelt. Und dadurch kann ich eine bessere Lehrerin sein.
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