Aurélien
, 40

Jurist in der Strafverfolgung, Genf

Ich bin im Genfer Quartier Pâquis in einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Als ich fünf Jahre alt war, fand ich im Sandkasten eine Spritze. Meine Mutter raste mit mir in den Notfall – ich hatte mich leicht in die Fingerspitze gestochen. Passiert ist damals nichts, aber das bedrohliche Drogenbild von damals ist mir geblieben.

Über eine lange Zeit gehörten für mich alle Drogen in dieselbe Kategorie. Schon Kiffen fand ich gefährlich. Als junger Erwachsener wurde mir mehrmals Koks angeboten – ich habe immer empört abgelehnt. In der Studienzeit war unter meinen Mitstudierenden immer wieder microdosing ein Thema. Auch das sagte mir nichts.

Als ich meine heutige Partnerin kennenlernte, begann sich mein Bild langsam zu ändern. Noémie konsumierte gelegentlich Psychedelika und MDMA. Zwar sehr zurückhaltend und nur an ausgewählten Festivals, aber in ihrem Umfeld lernte ich Menschen kennen, zu deren Leben Substanzen ganz selbstverständlich dazugehörten. Dass diese Leute, die mitten im Leben standen, Drogen konsumierten, trug sicher dazu bei, dass sich mein Bild von Substanzen langsam veränderte.

Noémie hat nie Druck gemacht. Trotzdem haben wir immer wieder über das Thema gesprochen und mein Interesse wuchs. Eines Tages beschlossen wir, zusammen mit einem befreundeten Paar, Tristan und Eva, einen Trip zu erleben.

Wir fuhren ins Wallis in eine abgelegene Berghütte. Ich war wahnsinnig nervös. Am Vorabend erzählten mir die anderen, was passieren würde und klärten mich über mögliche Nebenwirkungen auf. Eva wollte nichts konsumieren. Ich fand es beruhigend, dass jemand da war, der merken würde, wenn etwas nicht in Ordnung sein sollte. Das half mir gegen die kleine, hartnäckige Angst im Hinterkopf.

Am nächsten Tag assen wir ein leichtes Frühstück und nahmen das MDMA. Ich war so nervös, dass ich mein Herz schlagen hörte. MDMA funktioniert nicht wie ein Lichtschalter, der plötzlich angeht. Es begann langsam. Ich erinnere mich, dass ich spürte, wie sich mein Brustkorb langsam öffnete. Das Gefühl überwältigte mich immer mehr. Es kam mir so vor, als ob mein Herz herausfliegen und ich es der ganzen Welt verschenken würde.

In den nächsten Stunden verlor ich jegliches Zeitgefühl. Während die anderen in der Hängematte lagen, ging ich auf Erkundungstour in die Natur. Ich kroch auf allen Vieren dem Hang entlang. Die Wiese fühlte sich unglaublich weich an! Am nächsten Morgen waren meine Arme ganz zerkratzt, so weich war sie also wohl nicht.

Aber in mir drin fühlte sich alles zur Natur hingezogen. Mir war, als würde mich die ganze Welt umarmen.

Im Kopf fühlte ich mich immer klar. Alkohol wirkt da ganz anders, er benebelt mich. Bei MDMA passiert das Gegenteil, ich sehe die Welt und mich selbst mit überwältigender Klarheit.

Tristan und ich stellten uns irgendwann auf eine Anhöhe und sangen zweistimmig «Mad World». Noémie sass staunend vor uns und rief unaufhörlich: «Das ist nicht irdisch! Das ist so schön, es ist wie Feengesang!» Für mich war es eine wunderbare Erfahrung, dort draussen lautstark und ohne Hemmungen zu singen.

Das Herunterkommen empfand ich als genauso sanft wie den Anfang unseres Trips. Alles wurde langsam ruhiger. Am nächsten Morgen war mir mein Verhalten des Vortages allerdings peinlich. Ich fürchtete, dass ich mich vor meinen Freunden lächerlich gemacht hatte. Aber alle versicherten mir, dass sie es genauso schön empfunden haben wie ich. Ich bin froh, dass wir das in einer ganz kleinen Gruppe erlebt haben. Für mich war das eine sehr persönliche, fast schon intime Erfahrung.

In der Zeit rund um unseren Trip begann ich gerade meinen neuen Job in der Strafverfolgung. Ich trug die starke Positivität dieses Trips noch sehr lange mit und startete mit viel Elan und wie beflügelt in mein neues Leben.

In meinem Beruf habe ich viel mit Drogendelikten zu tun. Genf ist eine Grenzstadt. Darum gehört der Drogenhandel zur Tagesordnung. Ich habe nicht das Gefühl, dass mein Erlebnis mich dabei beeinflusst. Wenn ich einen Delinquenten vor mir habe, ist es meine Aufgabe, seine ganze Lebenssituation in mein Urteil einzubeziehen. Darum kann ich genauso viel Empathie mit einem Koks-Dealer empfinden wie mit einem Gelegenheitskonsument, der zufälligerweise mit LSD erwischt wurde. Als Jurist muss ich beide gleich behandeln – und beide angemessen bestrafen.

Weil ich aber sogar in meinem Freundeskreis immer «der Jurist» bin, habe ich nie jemandem von meinem Erlebnis erzählt. Es kämen sicher Reaktionen im Stil von: «Was?! Du als Strafverfolger! Das hätte ich nie gedacht.» Dabei sehe ich mein einmaliges Erlebnis nicht als Widerspruch zu meiner beruflichen Tätigkeit. Auch Juristen sind Menschen mit Bedürfnissen.

Im Strafvollzug ist der eigene Konsum konsequent tabuisiert. In Kaffeepausen lachen wir höchstens über Jugendsünden und geben zu, dass wir als Teenager einmal gekifft haben. Trotzdem bin ich sicher, dass manche konsumieren. Wissen tue ich es von zwei Kollegen und einer Kollegin. Sie haben es mir unabhängig voneinander erzählt. Einer von ihnen stupste mich zum Beispiel in einer Weiterbildung über Drogen an und flüsterte grinsend: «Es stimmt, dass MDMA herzöffnend wirkt! Ich habe es probiert!»

Ich ging nicht darauf ein und lachte sein Geständnis einfach weg. Ich würde nicht wollen, dass das jemand von mir weiss.

Weil alle Drogen gleichermassen illegal sind, ist es logisch, dass die allermeisten Menschen nur Negatives damit assoziieren. Ich selber differenziere inzwischen stärker. Ich sehe, dass Psychedelika einigen Menschen und auch der Gesellschaft einen Nutzen bringen können – vor allem im medizinischen Bereich ist sicher viel Potenzial vorhanden.

Ob eine radikale Legalisierung klug wäre, wage ich allerdings zu bezweifeln. Ich gehe davon aus, dass es dann viel mehr Probleme im Strassenverkehr gäbe. Das belegt unser Umgang mit Alkohol: Wenn legal getrunken werden darf, fahren die Leute halt auch eher betrunken Auto.

Während Covid erlebten wir plötzlich eine richtiggehende Epidemie von Hustensaft mit Codein. Die jungen Leute rannten dem Medikament geradezu hinterher. Wer ein Rezept hatte, verkaufte den Saft teuer weiter. Ich bin darum unsicher, ob eine Regulation von Substanzen wirklich dazu führen würde, den Schwarzmarkt auszutrocknen.

Dieser Tag im Wallis ist nun sechs Jahre her. Trotzdem denke ich bis heute noch oft daran zurück. Ich möchte dieses Erlebnis nicht missen. Noémie und ich sprechen immer wieder darüber, aber es war nie Thema, es zu wiederholen.

Für mich ist klar, dass eine solche Erfahrung nur mit Menschen möglich ist, denen ich zu 100 Prozent vertraue. Alles andere kommt für mich nicht in Frage – dafür ist die Erfahrung viel zu intensiv. Aus Erzählungen von anderen würde mich grundsätzlich LSD interessieren. Wer weiss. Wenn es sich ergibt, kann ich mir vorstellen, es einmal zu probieren.

Text: Elle
Bild: KI-generiert von Levin

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